Tschernobyl – auch heute noch ein Synonym für Nuklearkatastrophe. Dabei ist dieser Ort mehr als das: Er ist Heimat. Und das bis heute, denn einige Einsiedler blieben in der Sperrzone.

BildTschernobyl – dieser Name löst bis heute bei einer ganzen Generation Beklemmung aus. Und das nicht ohne Grund: Wir verbinden die kleine Ortschaft im Norden der Ukraine sofort mit einer der größten Nuklearkatastrophen der Welt. Laut Experten kann die radioaktive Strahlung auch heute noch onkologische Erkrankungen, sprich verschiedenste Krebserkrankungen, auslösen.

Dennoch ist Tschernobyl für einige Menschen weit mehr als eine lebensgefährliche Sperrzone: Es ist ihre Heimat, ihr Zuhause. Trotz der gesundheitlichen Risiken leben etwa 180 Menschen bis heute im Sperrgebiet. Bekannt sind diese als Einsiedler von Tschernobyl. Was auf den ersten Blick auffällt: Es sind zumeist ältere Siedler, die geblieben sind. Um die Einsiedler von Tschernobyl zu verstehen, werfen wir einen Blick zurück auf die Wochen und Monate nach der Katastrophe:

Stunde null – die Wochen nach der Katastrophe
Am 25. Mai 1986 ereignete sich die Nuklearkatastrophe in Tschernobyl. Nach und nach wurden in einem Umkreis von etwa 30 Kilometern rund um den havarierten Reaktorblock Dörfer geräumt, Bewohner evakuiert und streng bewachte Grenzen zum Sperrgebiet errichtet.

Die Evakuierten wussten oftmals überhaupt nicht, was genau geschehen war, Informationen über die Katastrophe erreichten die Betroffenen nur durch mündliche Überlieferung. Die Nachrichtensperre tat ihr Übriges, um die tatsächlichen Ausmaße des Reaktorunfalls zu vertuschen. Vielen war daher nicht bewusst, was im Kernkraftwerk von Tschernobyl passiert war. Sie dachten, sie dürfen nach einigen Tagen wieder zurück in ihre Häuser.

Da die Zeit drängte und die Massen an Menschen untergebracht werden mussten, wurden in nahegelegenen Städten hastig Wohnblocks hochgezogen, die den Evakuierten ein neues Zuhause bieten sollten. So entstanden viele Wohnungen auf kleinem Raum, der hektische Bau führte zu zahlreichen Mängeln an der Bauqualität.

Das alles nagte an den Nerven der Betroffenen. Der spürbare Bruch vom naturnahen Alltag zum Leben in einer Betonwüste zermürbte die Einwohner, die es gewohnt waren, in Holzhütten zu wohnen, von der Landwirtschaft zu leben und auf die Jagd zu gehen. Inmitten der vielen Wohnungen an einem fremden Ort fühlten sie sich wie abgeschnitten von ihren Wurzeln.

Einige Evakuierte nutzten daher die allgemeine Verwirrung der nachfolgenden Wochen und zogen entgegen aller Anordnungen der Regierung zurück in ihre gewohnte Umgebung. Das Bedürfnis nach der vertrauten Umgebung, der Heimat und der Rückkehr zu den eigenen Wurzeln war viel größer als die Angst vor der unsichtbaren Gefahr.

Zudem war immer wieder von einer zeitweiligen Evakuierung die Rede, sodass nach Ablauf dieser Frist weitere Bewohner den ersten Einsiedlern von Tschernobyl folgten und in ihre Häuser zurückkehrten.

Leben in Tschernobyl
In den ersten Jahren nach der Katastrophe war es für die Einsiedler von Tschernobyl sehr beschwerlich, wieder in ihren Dörfern zu leben. Die Behörden versuchten mit allen Mitteln, die ungebetenen Bewohner zu vertreiben: Sie stellten die Stromversorgung ab, schickten Truppen in das Sperrgebiet, welche die Häuser räumten und verriegelten oder gar zerstörten. Doch die Einsiedler blieben hartnäckig und suchten sich einfach andere Häuser – leerstehende Gebäude gab es nach der Katastrophe schließlich genug.

Die Einsiedler von Tschernobyl waren nicht bereit, zu weichen. Sie setzten sich mit Briefen und Petitionen bei den Behörden dafür ein, dass man sie in Ruhe ließ. Die Bewohner machten klar, dass sie sich nicht vertreiben lassen würden. So wurde über die Jahre hinweg ein Abkommen geschlossen, das den Einwohnern erlaubte, in ihrer vertrauten Umgebung zu leben.

Die Einsiedler von Tschernobyl organisierten sich mit der Zeit eigenständig. So wie viele der alten Gebäude einen neuen Zweck erfüllen, haben auch einige Siedler einen neuen Lebensinhalt gefunden: Sie kümmern sich um die alten Kirchen, schließen sich in Gesellschaften, wie etwa „Wiedergeburt von Tschernobyl“ zusammen, oder übernehmen Verantwortung für die allgemeine Versorgung.

Home, Sweet Home?
Mittlerweile sind einige der radioaktiven Substanzen bereits zerfallen, aber die Zone bleibt weiterhin kontaminiert. So haben beispielsweise das radioaktive Cäsium 137 und einige weitere Stoffe eine Halbwertszeit von 30 Jahren. Das bedeutet, dass die Strahlenbelastung seit der Katastrophe um die Hälfte abgenommen hat. Die Stoffe stecken aber weiterhin in den tieferen Schichten des Bodens und gelangen so in Pflanzen, die wiederum Tieren als Nahrungsquelle dienen.

Nach der Rückkehr in ihre Häuser nahmen die Einsiedler von Tschernobyl ihren gewohnten Tagesablauf wieder auf: Sie bewirtschafteten ihre Äcker, tranken das Wasser aus den Quellen, jagten in den Wäldern und nutzten so über Jahre hinweg die strahlenverseuchte Natur, um ihre Bedürfnisse zu stillen. Die Einsiedler von Tschernobyl nehmen dadurch die radioaktiven Stoffe von innen und von außen auf. Warum haben die Einwohner trotzdem so wenig Beschwerden?

Darauf haben Experten eine mögliche Antwort: Die älteren Einsiedler von Tschernobyl erleben aufgrund ihres hohen Alters die aktive Phase der Erkrankung nicht mehr. Schließlich beträgt die latente Phase etwa 20 Jahre – viele sterben bereits vorher aufgrund der natürlichen Lebenserwartung. Trotzdem haben die Siedler ein erhöhtes Risiko für Krebserkrankungen. Ein Grund, ihre Heimat zu verlassen, ist das jedoch nicht – für die Einsiedler ist die Krankheit schließlich abstrakt und nicht greifbar.

Faszination Tschernobyl: Zwischen Tod und Wiedergeburt
Einst ein Synonym für Tod und Angst, ist Tschernobyl heute wieder ein Lebensraum für Menschen und Tiere. In die ehemals streng abgeriegelte Sperrzone strömen Tag für Tag tausende Arbeiter und entdeckungsfreudige Touristen. Sogar im Kernkraftwerk wird emsig gearbeitet: Etwa dreitausend Arbeiter wirken am Bau mit, entsorgen radioaktiven Müll oder bauen die Infrastruktur wieder auf.

Neben den ortsansässigen Einsiedlern von Tschernobyl und den Schichtarbeitern findet man auch immer mehr Reisende in Tschernobyl. Pro Jahr wählen über 8.000 Touristen die Gegend als Reiseziel aus. Die Sperrzone wird auch heute noch überwacht, der Eintritt ist ausschließlich mit einer entsprechenden Genehmigung möglich. Diese erhält man beispielsweise vom Reiseveranstalter.

Die größte Sorge der Touristen ist sicherlich die Strahlung. Laut Experten liegt die Belastung durch Strahlen aktuell etwa bei dem Sechs- bis Achtfachen der Normstrahlung, der wir überall auf der Welt ausgesetzt sind. Das bedeutet, dass man sich grundsätzlich gefahrlos in der Zone bewegen kann, sofern man keine Warnschilder ignoriert und nur auf den vorgegebenen Wegen bleibt.

Die Sperrzone bietet atemberaubende Motive für einzigartige Bilder. Eine unserer Fotoreisen führte uns zum ehemaligen Binnenhafen. Viele der dort geschossenen Fotos könnt ihr in dem Beitrag Die rostigen Kräne im Hafen von Tschernobyl sehen.

Wenn es euch jetzt in den Fingern juckt, selbst eine außergewöhnliche Tour ins Herz der Sperrzone von Tschernobyl zu unternehmen, findet ihr auf unserer Webseite Tschernobyl Abenteuerreisen alle Infos, die ihr braucht. Die besten Motive abseits der Touristenströme bietet dir eine private Tour mit deinen Freunden ganz nach euren Vorstellungen. Sprecht uns bei Fragen direkt unter Kontakt an, wir helfen euch gerne weiter.

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