BABEL F.A.S.T. (Festival der darstellenden Künste) im rumänischen Targoviste mit zahlreichen internationalen Gästen (von Dieter Topp)

BildUnter dem Slogan BILDER stand die neunte Ausgabe des BABEL Festivals im rumänischen Targoviste. Die Bedeutung von Bauen am internationalen Theaterturm BABEL bewies die Ausgabe 2019 wieder einmal auf das Ausgiebigste.

Schon der Auftakt mit den Ergebnissen eines fünftägigen Workshops dreier russischer Regisseure mit den Schauspielern des gastgebenden Tony-Bulandra-Theaters an drei unterschiedlichen Spielorten konnte sich sehen lassen.

Oleg Loevsky, der zahlreich Theaterlaboratorien organisiert und jüngst beim Masterskaja Theater in St. Petersburg sehr damit ankam, hatte Oleg Eremin, Kiril Vitoptov und den von mir geschätzten Dumitru Acris nach Rumänien in die ehemalige Hauptstadt der Walachei eingeladen. Dort vollbrachten die drei wahre Wunderwerke mit den ortsansässigen Darstellern.

Acris zeigte russische Theaterschule vom Feinsten mit „Schuld und Sühne“ in seiner zeitgenössischen, typischen brutal-realistischen Manier auf die Bretter.

Oleg Eremin mischte Puppen- und Real-Schauspiel mit „An diesem Tag“. Kiril Vitoptov feierte einen outdoor Triumph mit der Real-Groteske einer Balkan-„Hochzeit“, die einen stark an den überheblich unsinnigen türkischen Habitus in Deutschland erinnerte. Nicht nur die Darsteller waren außer Rand und Band. Jung und alt ließ sich mit Begeisterung ins Spiel hineinziehen. Und manch einer wußte nicht, ob es sich hierbei um Theater oder verdrehte Realität handelte.

Ein derartiges Opening möchte sich jeder Veranstalter wünschen: eine Show aus dem Theater geboren, die gleich dreimal Premiere zur Premiere feierte. Gut gemacht!

Was hat es eigentlich mit dieser Stadt auf sich?
Es kam Leben nach Targoviste, einst von großer Bedeutung für das heutige Rumänien, heute abseits der Touristenroute weniger als 100 Km entfernt von Bukarest. Verlassen, vergessen und recht trist schauen die Plattenbauten aus. Wer sucht, der findet dann in zweiter Reihe noch erhaltene, prachtvolle Villen rumänischer Architektur des vorletzten Jahrhunderts. Hier scheint die Zeit stehengeblieben, zeugt vom ehemaligen Reichtum der Bürgerschicht, spannt einen zeitlichen Bogen zwischen 1456, als Vlad III. Draculea inthronisiert das Land mehrfach vor den Türken rettete und 1989, als nach dem Urteil eines Militärtribunals der gestürzte kommunistische Diktator Ceausescu samt seiner Frau hier hingerichtet wurden.

Seit einigen Jahren startet die Stadt mit unterschiedlichen Attraktionen durch, um Gäste an die restaurierten historischen Stätte zu locken und dringend notwendige Gelder einzuspielen. Ob ein Dracula-Festival, Reiterspiele und allgemein Touristisches.

Einer der wichtigsten Aktivitäten dabei heißt BABEL F.A.S.T, ein Theaterfestival besonderer Provenienz. „Hierbei spielen Religion, Sprachen und nationale Politik weniger eine Rolle als das gemeinsame Bauen an einem internationalen unendlichen Turm von Demokratie, Diversity und Freundschaft, von Kennenlernen und miteinander Arbeiten, und vom künstlerischen Austausch zwischen rumänischen und internationalen Theatern: ein gutes und auch bislang alljährlich erfolgreicheres Unterfangen, das Manager und Theaterchef Mc Ranin mit seiner kleinen Crew des Theaters Tony Bulandra gemeinsam stemmen“, so Dieter Topp, Präsident des KulturForum Europa und Mitglied des Festivalkomitees.

BABEL F.A.S.T. (Festival der darstellenden Künste) baut seit 2009 an diesem „Turm“ mit jährlich unterschiedlichen Aufhängern. Shows, Symposien und Workshops stehen Besuchern und Darstellern zur Auswahl, darunter „Elemente“, „Krise“, „Farben“, „Körper“, „Klang“ und in 2019 „Bilder“.

Bühnen wie Teatrul Ariel aus Ramnica-Valcea und das Toma Caragiu aus Ploiesti vertraten das Gastgeberland. Aus vielen anderen Nationen kamen Ensembles und Monodrama-Darsteller, darunter aus Indien die Truppe IAPAR mit Regisseur Aditi Venkateshwaran und non-verbalem Bewegungstheater, einer speziellen Mischung aus Jazz-Contemporary-Indian Dance.

Aus Algerien gaben sich bereits zum zweiten Mal mit einem Shakespeare die „Ritter de Wüste“ mit „Julius Cäsar“ die Ehre, ebenso wie die Engländerin Emily Carding mit der One-Woman-Show „Hamlet“ und die Truppe Gabyun aus Süd-Korea mit „Familie Lear“.

Aus Tschechien brachte Pavel Knolle vom Nationaltheater Prag, Laterna Magica, mit „Cube“ eine bewegungs- und computertechnische Glanzleistung. Japan, Polen, Italien, Frankreich, Israel und Litauen sandten ihre Akteure. Letztere überraschten mit „Kein Kinderspiel“, eine Inszenierung von Albertas Vidziunas mit dem Theater Alytus. Hier lohnte es dem Chronisten, einen Halt einzulegen.

Whooow eines Festivaltages
Was Fausto Paravidinos Story über die Krankheit der „Familie M“ für Italien gewesen, das ist Herkus Kuncius Drama KEIN KINDERSPIEL für Litauen. Wo der eine noch Leben und Überleben in grauen Vorstädten Italiens beschreibt, geht der litauische Dramatiker einen Schritt weiter.

Auch Kuncius und Regisseur Albertas Vidziunas nehmen eine Familie als Pars pro toto, um auf breiter Ebene menschliches Miteinander zu entblößen. Vom Haushalt- bis zum Universal-Level in einem Wohnblock wird gnadenlos offen und Tabu brechend die Realität einer „modernen Familie“ in märchenhaft realistischer, karikierender Groteske bebildert.

Parallelen zu Marius von Mayenburgs Stück „Feuergesicht“ kommen komprimiert in einzelnen Szenen auf. Robert Wilson ähnlich wurde den Figuren die Individualität um einer Generalisierung willen durch teils weiße oder starre Gesichter genommen.

Der Schriftsteller sieht sich in einem internationalen Umfeld, weiß jedoch darüber hinaus zu gehen und eine eigene Aussage in obszöner, Tabu brechender Sprache zu finden, unterstützt durch eine gekonnt strenge Regie (und sehr guten Akteuren!) in einem stilistisch einfachen, jedoch visuell umwerfenden Bühnen- und Lichtbild (Arturas Simonis).

Kuncius hat die Welt von Paravidino und von Mayenburg in die Vergangenheit verbannt und beschreibt ein hoch aktuelles Sozialniveau im digitalen Zeitalter. Bravo den Darstellern, danke dem Theater Alytus.

Nicht alle können genannt sein. Unbedingt zu erwähnen bleibt der Schotte Scott Johnson, der dem Festival seit Jahren treu zur Seite steht und diesmal mit seinen Studenten vom Edinburgh College und einer Workshop-Gruppe aus rumänischen Volontären Theater machte. Dies zeigte sich als perfekter Weg, junge Menschen für das Festival zu begeistern.

Gastgeber Tony Bulandra Theater mit Tolstoi’s „Kreutzersonate“ in der Regie von Theaterchef Mc Ranin in bekannt japanisch ausdrucksstark aber zurückhaltender Manier, der Interpretation von „Othello“ in der Regie von Suren Shahverdyan (Armenien) beschlossen die Vorstellungen, die umgeben waren von täglichen Workshops, Vorträgen und Diskussionen rund um das diesjährige Hauptthema.

Babel 2019 zog Groß und Klein zu Hauf in seinen Bann.
Eine schier unüberschaubare Anzahl junger Volontäre aus Schülern und Studenten zeugte von der pädagogischen Tragweite dieses Festivals. In einer selten harmonischen Atmosphäre für Akteure, Bühnenarbeiter, Helfer und Gäste blieb zum Abschied die Hoffnung auf ein neues, spezielles BABEL 2020.

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